Schriftliches | Kalligrafien von Andrea Wunderlich | Goldkronach

19. September – 21. November 2021

www.andreawunderlich.com


Ausstellungseröffnung
„Schriftliches“ | Andrea Wunderlich am 17.09.2021 | Herta Singer, Bayreuth

Über Geschmack kann man sich bekanntlich streiten. Über Kunst und was überhaupt Kunst ist, geht das schon seit Jahrhunderten so. Denken Sie nur an die Kunstwerke von Joseph Beuys. Da hat der Streit schon seinen Niederschlag auf Postkarten gefunden:
Ist das Kunst, oder kann das weg?
Mir gefällt eine Definition von Kunst, die Oscar Wilde so formuliert haben soll:
„Das Ziel der Kunst ist es, einfach eine Stimmung zu erzeugen.“
Mit dieser Definition wird das Ganze einfach, denn – es wird subjektiv.
Für mich ist dann die Frage: Kommt etwas in mir zum Klingen, wenn ich eine Kalligraphie, ein Gemälde, ein Photo, eine Skulptur oder ein Objekt sehe, höre, anfasse (manchmal darf man das ja) oder sogar begehen kann? Berührt es etwas oder lässt es mich kalt? Geh ich einfach daran vorbei oder bleibe ich stehen, weil mich irgendetwas etwas festhält?
Mit Oscar Wilde würde ich sagen: Wenn ein Werk in mir etwas zum Schwingen bringt, dann ist es für mich Kunst. Egal, ob es mich provoziert, ob es mich ärgert oder Freude weckt, Glücksgefühl oder Trauer.
Mir ist es erst einmal im Leben passiert, dass ich vor einer Installation zu Tränen gerührt war. Sie hat mich, warum auch immer, tief berührt. Übrigens auch von einem Künstler und Kalligraphen, der in Brügge lebt: Brody Neuenschwander. Ich konnte nicht einfach weitergehen und ein Häckchen an das Gesehene machen.
Soviel zur Frage, was Kunst sein kann.

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Was erwarten Sie von dieser Kunst-Ausstellung, die den Titel „Schriftliches“ trägt? Vielleicht erwarten Sie schön geschriebene Sinnsprüche, so wie sie früher auf Sofakissen kunstvoll verschnörkelt, gestickt waren oder so wie sie heute als Lebensmotto in Pastellfarben schön „geletttert“ an der Wand hängen? Kalligraphie heißt ja auch „die Kunst des schönen Schreibens“!
Oder denken Sie an einen Text, so geschrieben, dass man ihn kaum mehr entziffern kann? Bis hin zuStrukturen, die Buchstaben nur noch erahnen lassen?
Das alles ist die Bandbreite der Kalligraphie. Schön und besonders Geschriebenes. Also sind das hier einfach Texte schön, gefällig geschrieben? Das werden Sie hier bei Andrea Wunderlich nicht ganz so „einfach“ finden. Und deshalb ist es bestimmt eine spannende Ausstellung! Was Sie hier finden werden sind 3 unterschiedliche „Themenbereiche“ in dieser Auswahl der Werke einer international bekannten und geschätzten Künstlerin und Kalligraphin.
Sie sehen Schriftkunst, die schon weltweit zu sehen war, entweder in Ausstellungen oder in der Letter Arts
Review, der maßgeblichen Zeitschrift für internationale Kalligraphie.
Und was verbindet diese 3 Themenbereiche? In jedem geht es um mehr als das technische, handwerkliche Geschick mit dem Raum, dem Papier, dem Malgrund, den Malmitteln, Farben und vor allen den Schreibwerkzeugen umzugehen.
Jedes davon ist eine Kunstfertigkeit für sich! Also, wenn es nicht die Technik und das Handwerk ist, was dann?
Es ist die „Stimmung“, die erzeugt werden soll. Es ist das, was in einem Menschen in Schwingung geraten soll – egal ob im Kopf durch eine neue Perspektive im Denken, oder im Herzen, vielleicht sogar im Handeln.
Ich nehme dazu ein Beispiel aus jedem der 3 Themenbereiche und fange mit dem Themenbereich „Moderne Illumination“ an.
Was passiert auf diesen Werken der „Modernen Illumination“?
Unsere Künstlerin verbindet alte Kunstfertigkeit mit neuen Begriffen und setzt sie dadurch in Spannungzueinander. Sie setzt den Begriff damit in ein neues Licht. Illumination eben. Licht gezielt einsetzen bis hin zur Erleuchtung – das ist Illumination. Zum Beispiel „Fake News“. Der Inhalt, die Bedeutung der Worte ist häßlich, gefährlich. Erst seit einigen Jahren gehört es – inzwischen schon selbstverständlich – zu unserem medialen Alltag. So selbstverständlich, dass keiner sich mehr wirklich darüber aufregt? Und Andrea Wunderlich setzt ihn mit schönen Schwüngen und bunt, mit frohen Farben in Szene.
Das ist auf den ersten Blick ein „schönes Bild“ und dann beim Entziffern der Buchstaben entsteht die Irritation. Haben wir uns schon zu sehr an diesen Fakt der Fake News gewöhnt? Sie schon ungefragt eingefügt in unsere schöne Sprachwelt?
Ein anderes Beispiel: Ein Schriftbild mit rot und rosa Farbtönen und zarten Ranken und Blättern, wie aus dem Poesiealbum. Dazwischen ein leichtes Türkis. Und dann die Worte „Beautiful Problems“. Das irritiert, oder? Seit wann sind Probleme etwas Schönes? Wer will sie schon haben? Oder haben sie etwa einen Sinn?
Soviel zum Themenbereich „Moderne Illumination“.
Im 2. Themenbereich werden Sie auch Texte von Jean-Paul finden. Das wird die anwesenden Schwarzenbacher freuen. Jean Paul ist hier familiär verwurzelt. Andrea Wunderlich hat sich, auch zusammen mit anderen Kalligraphen/innen, seit 2012 mit diesem Sprachkünstler auseinandergesetzt. Jean-Paul-Worte auf Papier und als Skulptur. Und da ist es auch wieder! Wie finden Sie den Ausspruch: „An Frauen ist alles Herz, sogar der Kopf!“ Also da muss man und frau schon nachdenken, wie er oder sie das verstehen will. Darüber könnten Sie sogar miteinander ins Gespräch kommen, wenn Sie vor diesem Objekt
stehen. Es könnte etwas in Schwingung kommen … Aber nicht nur wegen des Inhalts. Es geht noch weiter. Denn welche Bedeutung hat es, dass es sich beim Material um ein Abfallstück Kunststoff handelt? Ich erinnere mich, dass es zuerst im Zentrum für neue Materialien in Bayreuth ausgestellt wurde.
Aber das fragen Sie unsere Künstlerin am besten gleich selber!
Sinn, Material und schöne Gestaltung – in Spannung zueinander und auf dem Weg zu einem neuen Verstehen.

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Im dritten Bereich dieser Ausstellung hat Andrea Wunderlich Arbeiten ausgewählt, die unter einer ungewöhnlichen Überschrift stehen: „subkutan“. Subkutan – unter der Haut! Medizinisch ganz klar. Und was geht uns im übertragenen Sinn „unter die Haut“? Was berührt uns? Und was ist eigentlich im Lockdown passiert, als es so viel weniger Kontakt und soviel Abstand zu anderen Menschen gab. Keine Berührung der Hände, keine herzlichen Umarmungen, … was hat das bei uns bewirkt?
Was hat das bewirkt, vor allem dann, wenn die Haut der Sitz der Seele ist? Wenn die Haut der Sitz der Seele ist? So steht es in diesem Text ganz am Schluss. Was hat Andrea Wunderlich sich gedacht, als sie diesen Text so formuliert hat? Woran denkt sie, wenn Sie von der „Tiefe der Oberfläche“ schreibt? Blues 20/21 ist der Titel ihres eigenen poetischen Textes.
Um es auf den Punkt zu bringen und damit Sie sich endlich auf den Weg durch die Ausstellung machen
können: Schön schreiben ist nicht genug. Das ist vielleicht der Anfang auf dem Weg zur Meisterschaft. Meisterschaft ist es dann, wenn die Worte, der Text, die Gestaltung und das Handwerk zusammenkommen und neuen Sinn ergeben. Keines kann dann für sich alleine stehen.
Ich behaupte: Dann ist es Kunst und „kann auf keinen Fall weg“, sondern muss in die Welt, vielleicht sogar zu Ihnen nach Hause, wenn Sie eines dieser Kunstwerke erwerben. Andrea Wunderlich bringt das alles zusammen und ist damit eine Meisterin der Kalligraphie und eine Künstlerin, die mit Herz, Verstand und allen Sinnen, mit Kunstfertigkeit und mit Leidenschaft arbeitet. Ich bin sicher, Sie werden das in dieser Ausstellung spüren und staunen, vielleicht sogar berührt sein.

 


 


Der Kalligrafie-Workshop am Wochenende 25./26. September war ausgebucht.