WACHSEN | Zeichnung und Assemblage | Katja Wunderling | Nürnberg

 

Ariadnes Gewebe I, 2020, Flugschirm Wiesenbocksbart, 60×70 cm

Vernissage | Freitag | 19. Januar 2024 | 18 Uhr
Ausstellungsdauer | 21. Januar – 3. März 2024

www.katja-wunderling.de


Vernissage am 19. Januar 2024

Fotos: Swanti Bräsecke-Bartsch

Worte zur Ausstellung „Wachsen“

Umgeben von den Arbeiten Katja Wunderlings umfängt mich Ruhe und Gelassenheit. Nichts fordert überlaut meine Aufmerksamkeit und doch fühle ich mich hingezogen zu den Arbeiten. Farbliche und strukturelle Zartheit. Fragile Gebilde. Wachsen. Werden. Vergehen und wieder Wachsen.

Entstanden aus Vorhandenem, dem uns Umgebenden, dem unabhängig von uns Menschen Existierenden – aus der Natur und hier im Besonderen aus der Pflanzenwelt.

Schon frühzeitig in Katja Wunderlings künstlerischer Laufbahn nahmen Pflanzen in Ihren Arbeiten viel Raum ein. Das sollte so bleiben. Warum Pflanzen?

Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Zitat, dass uns vielleicht auf die Spur des Warum führen könnte…

Emanuele Coccia, Prof. für Philosophiegeschichte, formuliert in seinem Buch „Die Wurzeln der Erde“ interessante Gedanken: „…Um zu überleben, brauchen sie (die Pflanzen, Anm.d.A. ) nicht die Vermittlung anderer Lebewesen. Sie streben sie nicht an. Sie wollen nur die Welt, die Wirklichkeit in ihren elementarsten Komponenten: Steine, Wasser, Luft, Licht. Sie sehen die Welt, bevor sie von höheren Lebensformen bewohnt wird, sehen die Wirklichkeit in ihren ursprünglichsten Formen. Oder besser, sie finden Leben, wo das kein anderer Organismus schafft. Sie formen alles, was sie berühren, in Leben um, sie machen Materie, Luft, Sonnenlicht zu dem, was für die übrigen Lebewesen Wohnraum, ja Welt wird. … “ 1

Weiter heißt es: „… Was Welt ist, müssen wir von den Pflanzen erfragen, denn eben sie ,machen Welt‘.…“ 2

Das Thema ist groß, übergeordnet, Metaebene sollte man meinen. Doch schaffen wir Menschen es tatsächlich inzwischen eine Bedrohung für den Fortbestand dessen zu sein, was unser Leben erst möglich machte…  Das fügt Ihrem Tun, Frau Wunderling, einen Aspekt hinzu, der soweit ich gelesen habe, noch nicht erwähnt wurde – den der Chronistin und Archivarin. Schlummern in den Assemblagen doch tausendfach Baupläne und Informationen zum Fortbestand der Flora.

Das war jedoch nicht die vordringliche Intention für Ihr Schaffen. Ich sehe diese in jener Metaebene, dem Zeitlosen, das der Pflanzenwelt innewohnt.

Der Schaffensprozess, Ihr Schaffensprozess ist allumfassend. Er beginnt mit Ihren Wanderungen und Spaziergängen, die so stelle ich mir vor, eher Expeditionen sind auf der Suche nach Unentdecktem, nach leicht zu übersehenden Dingen. Und dann das Sammeln! Welche Geduld! Und dann das Sichten von  unzähligen Samenkapseln, Schoten, Hülsen, Zapfen, Blättern bevor die Transformation des Sammelgutes in grafische Strukturen beginnt. Neben dem spielend gestalterischen Tun ist eine unglaubliche Disziplin zu spüren, die beim Entstehen so filigraner Gebilde unabdingbar ist.

Es entstehen Strukturen, die uns in der Natur immer wieder begegnen. Am Meer im Wellensaum, kleines angespültes Strandgut, das sich zu geschwungenen Linien formiert, die Schuppen eines Fisches, eines Reptils oder eines Zapfens. Stacheln angeordnet zu einem Skelett… Oder/und Muster und Ornamente aus der Geschichte der Menschheit, erinnernd an Bandkeramik, die Verzierung von Schilden, Amuletten, Bemalungen des menschlichen Körpers.

Allein mit dem Zusammenfügen ist es nicht getan. Das daraus ein künstlerisches Werk entsteht bedarf der Komposition, der Linienführung, dem Spiel mit Gegensätzen und Materialien. Besonders ist die Farbigkeit, die gefunden Materialien bestimmen sie, ihnen wird zu- und untergeordnet, welch‘ Referenz an das Gewachsene.

Zum einen entstehen die Assemblagen auf reinen Papierbögen, zum anderen kombiniert mit Zeichnungen auf mit Eitempera grundierten Flächen. Dabei werden farbigen Flächen mit dunkler Farbe abgedeckt. Durch das Zeichnen mit der Radiernadel in diese dunklen Flächen werden feinste Strukturen freigelegt, die dann umso leuchtender aus dem dunklen Grund hervortreten

In mir lösen viele der Arbeiten eine Bilderflut aus:

Da sind Schwämme, nicht von einem Korallenriff, sondern zusammengefügt, wie man beim genauen Hinschauen erkennt, aus Mohnkapseln. Ihres Deckels befreit geben diese den Blick frei in tausende kleine Kammern, die eigentlich Samen enthalten.

Samen von Mohn, dessen leuchtend roten Blüten sich in Kornfeldern wiegen.

Die Deckel der Kapseln ergießen sich derweil, einem gehoben Goldschatz gleich, über die Fläche.

Sehe ich die Samen des Wiesenbocksbart mit ihren Flugschirmen, sehe ich den hohen kugeligen Samenstand am Rand einer Wiese vor mir. Im Sonnenlicht des Sommers schimmern die Kugeln golden, Insekten surren, Tagfalter gaukeln über die Wiese.

Ähnlich empfinde ich bei den Fichtensamen, hier sehe ich die ungeheure Anzahl an Bäumen, die aus diesen Samen entstehen könnte, einen Wald, der sommers Schatten und Kühle spendet. Baumharzgeruch in der Luft. Und ich höre die Kreuzschnäbel, die sich winters von diesen Samen ernähren.

Das sind jedoch meine ganz subjektiven Gedanken, die diese Arbeiten in Gang setzen,

die ich an dieser Stelle lediglich teilen wollte.

Liebe Frau Wunderling, danke für diese wunderbare Ausstellung!

Swanti Bräsecke-Bartsch

Schwarzenbach a. d. S., den 19. Januar 2024

 

1+2 COCCIA, Emanuelle (2016): Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen; Übersetzung Elsbeth Ranke; 2. Auflage (2018); S. 20; München